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Created: 2021-07-02
Barbusig in der Oeffentlichkeit - wo kaemen wir denn da hin?!
Brueste sind allgemein betrachtet ein eher schwieriges Thema. Viele
finden sie schoen und anziehend, aber werden sie in der Oeffentlichkeit
gesichtet, kann die Stimmung ganz schnell kippen.
Waehrend es maennlich gelesenen Personen gestattet ist, sich mit
unbekleideten Oberkoerpern in der Oeffentlichkeit zu bewegen, muessen
weiblich gelesene Personen leider immer damit rechnen, dass sich
irgendwer beschwert und dann muessen sie ihre Brueste bedecken. Das
Problem ist die Sexualisierung der weiblich gelesenen Koerper. Ich kann
mich noch vage an eine Situation erinnern, die ich als kleines Kind
erlebt habe. Meine Eltern und ich lebten damals in einem kleinen Dorf in
Hessen in einer Sackgasse mit 4 Haeusern und ich spielte draussen. Es
war Sommer und ich lief mit freiem Oberkoerper herum und irgendwann kam
unsere Nachbarin mit dem Auto und parkte es in ihrer Garage. Ich freute
mich, sie zu sehen und wir plauderten ein wenig. Das Wetter bzw. die
Hitze wurden auch thematisiert und sie sagte, auch sie wuerde manchmal
gern oben ohne herumlaufen. Ich sagte damals, dass sie das doch tun
koenne. Ich weiss nicht mehr genau, wie sie reagierte, aber ich weiss
noch, dass sie mir das Gefuehl vermittelte, dass dem nicht so sei. Nur
verstand ich das nicht - ich war noch ziemlich klein - und verblieb
irritiert. Das war in den 80ern und die Situation ist unveraendert.
Inklusive meinem Unverstaendnis diesbezueglich. Zwar kann ich es heute
besser einordnen, aber von Verstaendnis kann ich nach wie vor nicht
sprechen.
Vor kurzem gab es einen Fall
von Barbusigkeit im Plaenterwald in Berlin. So manche denken dabei:
"In so einer Stadt, wie Berlin? Ach?"
Mich ueberrascht sowas keineswegs, denn Berlin ist durchaus eine
konservative Stadt. Der Mythos vom ach so lockeren und freizuegigen
Berlin ist weit verreitet. Auch ich dachte das mal... als ich noch nicht
hier lebte. Manchmal sitze ich oben ohne bei mir auf dem Balkon. Meine
direkten Nachbar*innen habe ich gefragt, ob es fuer sie ok sei und sie
sagten, es waere absolut kein Problem. Tja, Theorie und Praxis... es ist
immer wieder etwas seltsam, wenn ich barbusig draussen sitze und sie zum
Rauchen rauskommen und wir uns so begegnen. Dennoch mache ich es immer
wieder. Auch suche ich immer mal wieder Stellen in oeffentliche Parks
auf, von denen ich weiss, dass dort hin und wieder weiblich gelesene
Menschen oben ohne sind, um ebenfalls oben ohne zu sein. Als Transfrau,
die an vielen Stellen nicht undbedingt dem entspricht, was gemeinhin als
weiblich interpriert wird, erlebe ich in der Hinsicht nochmal ganz
andere Ebenen.
Wenn weiblich gelesene Menschen ihre Brueste in der Oeffentlichkeit
nicht bedecken, ist es immer ein feministischer Akt und ich zaehle zu
denen, die diesen auch bewusst als solchen ausueben. Es ist m.M.n. ein
Armutszeugnis, dass die Situation so ist, wie sie ist und es bedrueckt
mich schon seit langer Zeit. Ich glaube, vielen ist die Situation der
rechtlichen Ungleichbehandlung und ihrer Folgen nicht so richtig bewusst
und ich denke, dass sich hier sehr deutlich zeigt, dass Toleranz nichts
ist, was positiv verstanden werden sollte. Weiblich gelesene Menschen,
die ihre Brueste in der Oeffentlichkeit nicht bedecken wollen, sind auf
die Toleranz der anderen angewiesen. Ist diese nicht vorhanden, zeigt
sich sehr schnell, wie problematisch weibliche Koerper sind und
dass Situation sehr schnell sehr haesslich werden koennen.
Das Grundgesetz Artikel 3 Absatz 2 besagt zwar:
Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
und Grundgesetz Artikel 3 Absatz 3 besagt:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
und hier sollte eins ja meinen, es waere eindeutig geregelt, aber die Realitaet ist halt wesentlich komplizierter.
Artikel 3 GG sagt eigentlich nur aus, dass der Staat Gleiches gleich behandeln muss und die beiden Geschlechter sind natuerlich nicht zwangslaeufig gleich zu behandeln. Das duerfen die als Frauen wahrgenommenen und eingeordneten Personen ja auch im Alltag ausserhalb von Gerichten haeufig erleben. Womit wir zu dem Teil der Diskriminierung kommen. Diese nachzuweisen, ist oftmals extrem schwer, denn sie liegt nur und ausschliesslich dann vor, wenn sie zweckgerichtet ist. Als Folge einer s.g. neutralen Regelung ist es keine Diskriminierung.
Die Situation ist einfach nicht in Ordnung und ich wuensche mir, dass
Menschen jedweden Geschlechts gleichberechtigt oben ohne sein duerfen.
Damit meine ich, dass ich mir wuensche, dass alle Menschen berechtigt
sein sollen, sich oben ohne an oeffentlichen Orten aufzuhalten, denn mir
geht es um die Normalisierung der weiblich gelesenen Koerper. Sie sind
keine Mysterien - was bitte soll dieses staendige Getue? Und mindestens
genauso schlimm finde ich dudes, die in diesem Kontext Dinge sagen,
wie:
"Von mir aus koennen alle ihre Brueste rausholen - stoert mich ueberhaupt nicht"
und innerlich schon sabbern.
Mich beschaeftigt der Vorfall, dem Gabrielle Lebreton ausgesetzt war und
die Thematik hinter all dem beschaeftigt mich schon ziemlich lang. Ich
hoffe, dass etwas Fortschritt in diese Rueckstaendigkeit kommt. Ich
erklaere mich solidarisch und bin bereit, mich im Rahmen meiner
Moeglichkeiten fuer eine Durchsetzung der zuvor erwaehnten
Gleichberechtigung bei der "Oben-Ohne"-Thematik einzusetzen.